Indoor-Farming verbindet Ökologie und Hightech zur besten Antwort auf die Ernährungskrise der Menschheit: effizient, umweltschonend, giftfrei. Machbar ist es von der Selbermacher-Plastikbox bis zur 10.000-Salate-täglich-Fabrik.
2.300 m² Grundfläche, 23.000 m² Anbaufläche: Wer wissen möchte, wie man Gärten innen größer macht als außen, kommt um das Stichwort Indoor-Farming nicht herum. Dabei geht es nur am Rande um den romantischen Versuch naturentfremdeter Städter, sich ein Stück vom Umwelt-Glück zurückzuholen. Die oben genannten Zahlen sind die Kennziffern der 2014 eröffneten größten Indoor-Gemüsefarm der Welt: Das japanische Unternehmen Mirai füllte eine leerstehende ehemalige Sony-Werkshalle mit Reihe um Reihe an Regalen, bis zu 15 Ebenen hoch. Dazu ließ man LED-Pflanzenlampen entwickeln, die gegenüber herkömmlichen Leuchtmitteln für den Indoor-Anbau 40 % an Strom einsparen. Sie sind zwar in der Anschaffung erheblich teurer als herkömmliche Pflanzenlampen, dafür konnte Mirai auch den Ertrag um 50 % steigern: Um die 10.000 Salatköpfe beträgt der Output der vertikalen Gemüsefarm. Täglich. Mit ca. 2.500 Salatköpfen pro Quadratmeter liegt der Ertrag um das 100- bis 200-fache über dem auf dem Feld (0,4 kg/m².a) oder im Glashaus (1–1,5 kg/m².a). Und das mit gerade mal einem (1!) Prozent des Wasserverbrauchs und einer Reduktion des vegetabilen Abfalls um 30–40 Prozent. Vertikaler, hydroponischer Anbau findet noch dazu in einer schädlingsfreien Umgebung statt und braucht keinen Pestizideinsatz: Bioqualität gibt’s sozusagen als Gratis-Draufgabe.
Das Ganze ist wirklich so fantastisch gut, wie es klingt, und hat keinen Haken, sondern ist im Gegenteil die momentan überzeugendste Antwort auf eine der drängendsten Fragen der Zukunft: Wie lässt sich eine immer größere Bevölkerung auf immer weniger Anbaufläche ernähren? Zudem markierten Demografen bereits 2008 als das Jahr, ab dem erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land lebten, und der Trend zur Urbanisierung hält unvermittelt an. Was bedeutet, dass immer mehr Menschen Nahrungsmittel benötigen, die über tendenziell immer größer werdende Entfernungen zu ihnen gebracht werden müssen – mit dementsprechend gewaltigem ökologischem Fußabdruck durch den Transportaufwand.
Die Mirai-Lösung im industriellen Maßstab greift: Innerhalb eines Jahres wurden elf weitere Anlagen im traditionell dicht besiedelten und mit spärlichem Raumangebot gesegneten Japan eröffnet, der Export der Gemüsebeschleuniger in Regionen mit ähnlichen Strukturen wie Hongkong oder Festland-China hat begonnen. Auch in der Mongolei erzeugt man bereits an zwei Produktionsstätten frische Nahrungsmittel vor Ort: Dort gibt es zwar Platz ohne Ende, das sehr trockene Klima mit brennend heißen Sommern und arktisch kalten Wintern macht den Anbau von Feldfrüchten aber seit jeher zu einem Vabanquespiel für einen sehr kurzen Zeitraum im Jahr.
Think global, act personal
Ein ganz ähnliches Konzept wie Mirai verfolgt Infarm in Berlin – jedoch quasi im Format 1:100 oder sogar 1:1.000. Der vertikale Urgarten des jungen Unternehmens misst 10 m² – ausreichend, um das angeschlossene Restaurant zu betreiben. Das in erster Linie dazu dient, den Skeptikern überzeugend Schmackhaftes aufzutischen: Noch ist die Vorstellung weit verbreitet, das mit Hightech angebaute Gemüse sei unnatürlich und schmecke auch so. (Dabei ist eher das Gegenteil der Fall: mit LED gewachsene Tomaten weisen einen um satte 50 % höheren Gehalt an Vitamin C auf als tatsächliche „Feld“früchte.) Generell wurde die Idee aber sehr positiv aufgenommen, die drei Israelis, die Infarm betreiben, durften sich über massenhaft Publicity freuen: Man hatte einen Nerv getroffen. Und bastelte dementsprechend an einer Diversifizierung des Konzepts. Im Oktober 2015 konnte man die Eröffnung der ersten InStore Farm Europas verkünden; gut möglich, dass in naher Zukunft nach den Bäckereien auch der Gemüseanbau von den Supermärkten übernommen wird. Neben Berlin hat Infarm jedenfalls auch die Japaner überzeugt, und die sollten es dank Mirai ja wissen: In Tokyo wurde dem jungen Unternehmen der Erste Preis im Rahmen des Innovation Weekends zugesprochen.
Der zweite Spin-off der futuristischen Urbangärtner erinnert stark an die in Growshops, also Spezialläden für den Verkauf von Indoor-Anbau-Eqipment für die Cannabiszucht, angebotenen Komplettboxen: eine kleiderschrankgroße Gewächsbox, in der für alles gesorgt ist, Beleuchtung, Belüftung, konstante Temperatur (22 °C) und Luftfeuchtigkeit (60 %) sowie ein PH-Wert des Wassers zwischen fünfeinhalb und sechs. Die Anordnung der LED-Lichter an den Seitenwänden garantiert, dass das Gemüse auf allen Ebenen mit dem nötigen Sonnenersatz beleuchtet wird.
Indoor-Farming selbst gemacht
Während für perfekte Ergebnisse wirklich Hightech vonnöten ist, lassen sich etwas niedriger angesetzte Selbstanbau-Gelüste auch weitaus einfach befriedigen. Mit Bastelanleitungen wie der folgenden beweist Infarm, dass es ihnen wirklich um die Sache geht: „Eine Plastikbox – etwa 80 cm lang, 40 cm breit, 15 cm tief – bis zur Hälfte mit Wasser füllen und mit speziellem Dünger mischen (zum Beispiel von Bio Nova). In den Deckel der Box Löcher schneiden, die exakt so groß sind wie die Pflanzentöpfe, die darin feststecken sollen, sodass die Wurzeln in die Box hineinbaumeln – und damit ins Wasser. Als Nährboden in den Töpfen eignet sich Kokossubstrat. Das Wichtigste sei dann das Licht. Für rund 150 Euro bekomme man eine vernünftige LED-Lampe. Neben der Box solle man einen kleinen Ventilator aufstellen, der den Pflanzen Luft zuwirbelt: »Die Blätter müssen stimuliert werden, sonst verkümmern sie.« Gute Videoanleitungen findet man auf Youtube unter den Suchbegriffen »Salat« und »Hydrokultur« (beziehungsweise »lettuce« und »hydroponics«).“ (Süddeutsche Zeitung)
Natürlich gibt es hydroponische Pflanzgefäße auch fixfertig zu kaufen: z. B. von Droponic in Kalifornien (Bild rechts). Zudem gibt es eine Menge Ideen für die Vertikalisierung: Flowerbox setzt auf Metall- und Keramikpflanzgefäße, die für die Wandmontage vorgesehen sind, während der britische Hersteller von Gartenwerkzeugen und -zubehör Burgon & Ball Stofftaschen zum Aufhängen anbietet. Das belgische Unternehmen D&M verwendet für sein vertikales Pflanzsystem Karoo recyceltes Plastik, was zusammen mit dem „Plug-and-Play-Design“, dem modularen Aufbau und dem Bewässerungssystem den Interior Innovation Award 2013 ergab.
Fotos: Mirai (Beitragsbild), Screenshot This Gives Me Hope, Infarm, Screenshot Droponic